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Im Niederschlesischen Oberlausitzkreis wurden 2002 zwölf Brutpaare des Seeadlers nachgewiesen, fĂŒr zwei weitere Paare bestand Brutverdacht. Mitglieder der Fachgruppe Ornithologie Niesky haben an einem
aus gröĂerer Distanz gut einsehbaren Nest ein auĂergewöhnliches Ereignis beobachtet. In diesem Nest wurde neben dem eigenen Nachwuchs ein MĂ€usebussard groĂ gezogen. Beide Jungvögel wurden flĂŒgge. Das
MDR-Fernsehen hat am 2.7.2002 im âSachsenspiegelâ unter dem Titel âTierliebe zwischen Sachsens gröĂtem heimischen Raubvogel und einem kleinen Verwandtenâ bereits davon berichtet. Hier sollen die
Einzelheiten noch einmal geschildert werden. Der Brutplatz war ab Ende Februar/Anfang MĂ€rz besetzt. Vom 7.3. an saĂ das Seeadlerweibchen fest auf dem Nest. Am 16.4. war vermutlich ein Jungvogel
geschlĂŒpft, doch konnte erst am 1.5. zweifelsfrei festgestellt werden, dass sich im Nest nur ein junger Seeadler befand. Am 25.5. herrschte eine bisher nicht festgestellte Unruhe. Nachdem ein Altvogel frische Beute
gebracht und wieder abgestrichen war, bediente sich der junge Seeadler neben dem zweiten Altvogel schon selbststÀndig mit am Futter. Dann tauchte auf einmal der helle Kopf eines zweiten Jungvogels im Dunenkleid
auf. Er wurde sofort vom Altvogel gefĂŒttert. In den folgenden Tagen war es sehr schwierig, dieses Dunenjunge zu beobachten. Es drĂŒckte sich fast immer tief in die Nestmulde. Erst am 10.6. konnte es eindeutig als
MĂ€usebussard bestimmt werden. Ab dem 24.6. wurden die ersten Flugversuche des MĂ€usebussards auf dem Nest beobachtet. Am 29.6. wurde dieser auf einer ca. 30 m entfernt stehenden Fichte erstmals auĂerhalb des
Nestes festgestellt. TĂ€glich kam er mehrmals zum Nest zurĂŒck, um sich seine Nahrung zu holen. Der junge Seeadler flog am 3.7. aus. Beide Jungvögel kamen jedoch immer wieder zum Nest zurĂŒck. Der junge
MĂ€usebussard und auch das Seeadlerjunge waren an diesem Tag mit Bettelrufen neben den adulten Seeadlern zu beobachten. Vom 4.7. an wurde der junge MĂ€usebussard nicht mehr gesehen. Der junge Seeadler dagegen konnte
noch bis Mitte November regelmĂ€Ăig mit den beiden Altvögeln in NestnĂ€he beobachtet werden. Wie der MĂ€usebussard in das Nest des Seeadlers gelangte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Doch ist dies nicht der
erste bekannt gewordene Fall. In Polen sind bei der Beringung von Seeadlern je einmal in zwei und vier aufeinander folgenden Jahren junge lebende MĂ€usebussarde im Nest eines Seeadlerpaares festgestellt worden
(Mrugasiewicz 1984, Hussong 1990 mit Fotos). P. Hauff, der sich schon jahrelang mit der Beringung von Seeadlern in Mecklenburg-Vorpommern beschĂ€ftigt, schreibt dazu der Redaktion: âSelber ist mir im vorigen Jahr
folgender Fall bekannt geworden. Bei der Beringung ca. sechs Wochen alter Seeadler fanden wir einen wenige Tage alten pulli eines Greifvogels ohne Kopf frischtot im Horst. Von O. Krone (Berlin) wurde bei diesem
pulli eine Genanalyse vorgenommen, die einen jungen MĂ€usebussard ergab... Nun meine Gedanken, die ich erst jetzt, nach dem Lesen Ihres Beitrages, anstellen konnte. Uns ist die Nestlingszeit der beiden Arten recht
gut bekannt. Nun sind die beiden Jungen jedoch fast gleichzeitig flĂŒgge geworden - sicher der wichtigste Fakt fĂŒr weitergehende Betrachtungen. Nestlingszeit: Seeadler ca. zwölf Wochen, MĂ€usebussard sieben bis
acht Wochen. Das schlieĂt aus, dass die beiden Jungen gleichzeitig im Seeadlerhorst geschlĂŒpft sind. Eine weitere BebrĂŒtung des kleineren Bussardeis ĂŒber drei bis vier Wochen darf man wohl berechtigt
ausschlieĂen. Dass erbeutete Junge aus fremden Greifvogelhorsten vielleicht in AusnahmefĂ€llen nicht unbedingt getötet werden, sondern in dem fremden Horst eventuell weiterleben, betteln und von den fremden Eltern
auf diese Weise mit aufgezogen werden, klingt vielleicht ein bisschen phantastisch, doch scheint es mir plausibel. Ich wĂŒrde diese Gedanken als wahrscheinliche Ursache durchaus fĂŒr berechtigt halten...â.
Dieselbe Vermutung teilen auch J. Frölich und W. Baumgart (pers. Mitt. an S. Ernst), die als Greifvogelkenner zu diesem Fall befragt wurden. Letzterer schreibt noch dazu: âEs sind daher meist nur bestimmte, auch
die NestrĂ€uberei betreibende Paare, bei denen so etwas gefunden wirdâ. W. Spank (pers. Mitt.) berichtet mir noch von einem anderen Seeadlerpaar in der Oberlausitz, das ebenfalls ĂŒber mehrere Jahre hinweg
junge MĂ€usebussarde als Beute ins Nest trug. Bei diesem Paar im Gebiet Milkeler Heide/Raudener Teiche wurden am 27.5.1996 neben zwei jungen Adlern die Reste eines ca. eine Woche alten MĂ€usebussards im Nest
gefunden, am 3.6.2000 neben einem jungen Adler ein noch lebender, ca. zehn Tage alter MĂ€usebussard (von W. Gleichner in ein Bussardnest umgesetzt), am 2.6.2001 neben zwei jungen Adlern die Reste eines
MÀusebussards und am 24.5.2002 neben wiederum zwei jungen Adlern die Federn von einem MÀusebussard. Es handelte sich also wahrscheinlich um ein solches, von W. Baumgart erwÀhntes Paar, das sich auf NestrÀuberei
spezialisiert hatte. Es sei in diesem Zusammenhang noch auf den Schwarzbrustmilan (Hamirostra melanosternon) - die drittgröĂte Greifvogelart Australiens - hingewiesen, der ebenfalls manchmal lebende
Beute, und zwar vor allem Graubartfalken (Falco cenchroides) und Habichtfalken (F. berigora) in sein Nest trÀgt und gelegentlich mit den eigenen Jungen aufzieht (J. Cupper 1977, L. Cupper 1995).
FĂŒr die Mitteilung ihrer Beobachtungen danke ich Friedhard Förster (Förstgen), Ernst-Hartmann Gottschlich (Horka), Werner Klauke (Dauban) und Wilfried Spank (Boxberg), fĂŒr fördernde Diskussion und
Bereitstellung von Literatur Joachim Frölich (GrĂŒna) und Dr. Wolfgang Baumgart (Berlin), fĂŒr konstruktive Hinweise bei der Erstellung des Manuskriptes Peter Hauff (Neu-Wandrum) und Stephan Ernst (Klingenthal).
Literatur Cupper, J. (1977): Black-breasted Buzzards rearing and preying on Kestrels simultaneously. - Austr. Bird Watcher 7, 69-73.
Cupper, L. (1995): Ungewöhnliche Bruten des australischen Schwarzbrustbussards (Hamirostra melanosternum). - Greifvögel u. Falknerei 1995, 80-81. Hussong, H. K. (1990): Gemeinsame Brut von Seeadler und
MÀusebussard im Adlerhorst. - Greifvögel u. Falknerei 1990, 126. Mrugasiewicz, A. (1984): Buzzard/Buteo buteo/brood parasitism on White-tailed Eagle/Haliaeetus albicilla. - Dolina baryczy 3, 54-56.
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